Die Frau und das Einhorn

Wer in Rom der Engelsburg einen Besuch abstattet, geht dabei möglicherweise auch hoch bis in den vierten Stock. Über einen überdachten Rundgang gelangt man dabei zur in Richtung Stadtzentrum geöffneten Loggia mit Blick in Richtung Prati. Diese Loggia wurde angelegt als Belvedere mit fünf Säulen und Überdachung. Die Decken waren ausgestaltet mit aufwendigen Fresken, die heute noch zum Teil erhalten sind, wenn auch durch die ständige Witterung in eher schlechtem Zustand.

Die Engelsburg hat eine fast 1900 Jahre alte Geschichte hinter sich, in der sie viele Umbauten und Nutzungszwecke erfahren hat. 

Kaiser Hadrian

Der älteste Teil der Engelsburg war ursprünglich von Kaiser Hadrian zum Bau beauftragt worden. Das Gebäude sollte als Mausoleum dienen für ihn selbst und seine Familie. Der Bau begann etwa 130 n. Chr. und war bei Hadrians Tod, 138 n. Chr., noch unvollendet. Erst ein weiteres Jahr später konnte der Leichnam Hadrians in das Mausoleum umgezogen werden und es diente fortan über ein Jahrhundert lang als Grabstätte für römische Herrscher. Die ursprüngliche Form und Innenausstattung des Mausoleums sind heute nicht mehr vollständig nachvollziehbar aufgrund vieler darauffolgender Um-, An- und Ausbauten sowie Raubbau und Abrissen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich Hadrian inspirieren ließ von ihm vorangegangenen großen griechischen Herrschern und der griechischen Antike.

Umbau zur päpstlichen Festung

Ab 403 n. Chr. wurde das Mausoleum schließlich eingegliedert als eine Art Bollwerk oder Zitadelle in die Aurelianische Mauer, eine bedeutende Stadtmauer Roms, deren Bau unter Kaiser Aurelian etwa 270 n. Chr. begonnen worden war. Im Lauf des Mittelalters verlor das ursprüngliche Mausoleum seine Funktion und wurde mehr und mehr zur päpstlichen Festung umgebaut. Dabei gab es auch Phasen, in denen das Mausoleum zu einer Ruine zerfiel und sogar als Weideland für Schafe genutzt wurde.

Je mehr Macht Rom verlor und je mehr die christliche Kirche dagegen an Macht gewann, gewann auch die heutige Engelsburg damals an Bedeutung als Festung und Schutz für den Vatikandistrikt. Dieser lag außerhalb der Aurelianischen Mauer und somit außerhalb der damaligen Stadtgrenze. Ende des 14. Jahrhunderts hatte sich die christliche Herrschaft in eine Tyrannei gewandelt, welche im Jahr 1379 zu einem Volksaufstand führte. Dabei wurde auch das Mausoleum geplündert und alles entwendet, was Wert hatte. Im Anschluss wuchs wortwörtlich Gras über die Sache. Erst mit Papst Bonifatius IX. begannen die Restaurierungsarbeiten. Er verbot auch, dass weitere Materialien abgetragen oder entwendet werden durften. Der Festungscharakter des ursprünglich antiken Mausoleums blieb erhalten.

Die Renaissance

Im Zuge der Bauphasen im Rom der Renaissance wurde auch die Festungsburg durch verschiedene Päpste weiter um- und ausgebaut. Nach der Zerstörung Roms durch die Habsburger Truppen im Jahr 1527 wollte der 1534 gewählte Papst Paul III. (eigentlich Alessandro Farnese) die Stadt wieder in ihrer antiken Schönheit aufleben lassen. Die heutige Engelsburg sollte in diesem Zuge zu einer aristokratischen Residenz umgebaut werden und in neuem Glanz erstrahlen. Unter ihm wurden der Festung neue Wohnräume hinzugefügt sowie eine neue, zweistöckige Loggia mit Blick in Richtung Prati. Die nachfolgenden Päpste fügten weitere Verteidigungsmauern und Befestigungen um die Burg herum an.

Gefängnis und Museum

Trotz des durch Papst Paul III. initiierten schönen Ausbaus wurde die Festung in diesen Jahrhunderten immer wieder auch als Gefängnis oder Ort für Hinrichtungen genutzt. Teils diente sie auch als Ort des Verschanzens für Päpste, die den Zorn des gemeinen Volkes auf sich gezogen hatten. In diesen Jahren wurden manche Teile (beispielsweise Türme) im Zuge der Stadtentwicklung Roms auch wieder abgerissen.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Burg durch Mariano Borgatti neu studiert und restauriert. Seit 1906 ist sie ein Museum, das heutige Museo Nazionale di Castel Sant’Angelo.

Die Frau und das Einhorn

Das Foto zeigt die Innendecke der Loggia im vierten Stock mit ihren beeindruckenden Fresken. Der Gang schließt direkt an die innenliegenden Wohnräume an, die durch Papst Paul III. an- und ausgebaut worden waren. Papst Paul III., eigentlich Alessandro Farnese, scheute bei der Bemalung und Innenausstattung keine Kosten. Die Loggia wurde in einem klassisch-antiken Stil gestaltet mit idealisierenden, fantastischen Elementen. Es finden sich Motive aus der Mythologie und Geschichte der klassischen Antike, aber auch dekorative Elemente aus dem imperialen Zeitalter. An die Räume der Domus Aurea angelehnt finden sich auch bei der Loggia groteske Motive in Kombination mit Fresken und Stuckreliefs.

Im sogenannten Perseusraum, der Teil der Wohnräume Papst Paul III. war, hängt heute das Gemälde „Dame und das Einhorn“ (1534-40, vmtl. von Luca Longhi). Dieses Gemälde könnte in mehreren Punkten in Zusammenhang stehen mit dem kreisrunden Fresko (s. Abbildung unten), welches ebenfalls eine Frau mit einem Einhorn zeigt.

Das Einhorn war, zusammen mit der Lilie, ein Wappen und Emblem der Familie Farnese. Das Einhorn steht dabei für die Aspekte der Reinheit und Keuschheit sowie der himmlischen Liebe. Weitere Eigenschaften, die ihm zugeschrieben werden, sind Kraft, Mut, Kampfeslust, der heldenhafte Tod sowie die Sanftheit gegenüber Frauen. All dies sind im Hoch- und Spätmittelalter auch wichtige Tugenden des Ritterstandes. Die Familie Farnese sah sich als Kämpfer für die Kirche und den Glauben, als Stellvertreter Christi auf Erden.

Bei dem Gemälde von Longhi im Innenraum wird vermutet, dass die junge Frau die Schwester von Papst Paul III. sein könnte. Das Fresko in der Loggia zeigt ebenfalls eine Frau in zärtlicher Berührung mit einem Einhorn. Der Hintergrund lässt ein himmlisches Szenario vermuten. Es ist jedoch auch möglich, dass Teile des Freskos verloren gegangen sind. Das runde Gemälde wird geziert von einem Rahmen. Vier symmetrisch angeordnete Lilien rücken die Szenerie in den Mittelpunkt des Betrachters.

Die Arbeit an der Loggia war von Raffaello da Montelupo ausgeführt worden. Die Dekoration hingegen war Werk von Gerolamo Siciolante da Sermoneta, der auch bei den innenliegenden Wohnräumen viel mitgearbeitet hatte. Papst Paul III. wollte mit diesem schmuckreichen Ausbau eine prunkvolle Selbstdarstellung erreichen, die stark an die Antike anmutete und direkte Parallelen schuf zu seinem Vorbild - Kaiser Hadrian.


Alle Abbildungen © Carolin Brüderle.

Literatur:
Museo Nazionale di Castel Sant’Angelo (Hrsg.), Castel Sant’Angelo 1(Milan, 2008).
I. Marzik, Das Bildprogramm der Galleria Farnese in Rom (Berlin 1986).
I. Iacopi, Domus Aurea (Milan 2001).